Erst drei Tage, nachdem ich meinen neuen Körper erhalten hatte, wich bei Pema das Fieber, und ihr Geist wurde wieder klar. Beim morgendlichen Aufwachen verriet das ihr Blick unmittelbar. Sogleich sprang ich auf und machte Frühstück. Als ich mit Tee und Brei an das Bett meiner Patientin kam, hatte die sich soeben mühsam aufgerichtet und betrachtete staunend ihr Lager. Noch mehr wunderte sie sich jedoch über die Mahlzeit sowie denjenigen, der sie ihr brachte. Nachdem ich Schüssel und Becher vor ihr niedergestellt hatte, forderte ich sie durch eine Geste auf zuzulangen. Ob es Schwäche, Aufregung oder beides war, weiß ich nicht. Auf jeden Fall zitterte Pemas Hand dermaßen, dass sie nicht in der Lage war, eigenständig zu essen. Als ich sie deshalb fütterte, machte sie zwar große Augen, wehrte sich zu meinem Erstaunen jedoch in keinster Weise gegen die ungewohnte Behandlung. Als ich im Anschluss an die Mahlzeit das Geschirr abräumen wollte, hielt die Genesende mich allerdings am Arm zurück.
»Lebe ich noch?«, fragte sie schwach.
Diese Frage verstand ich gut, kam mir die Situation doch selbst unwirklich vor.
»Unwirklich?«, kam es da über die Lippen meiner Schutzbefohlenen, während sie meinen Arm losließ.
Ah, hier hatten wir das nächste Wunder: Dass die angehende Yogini meine Gedanken zu lesen vermochte, war also keine vorübergehende Erscheinung gewesen. Durch mein dämonisches Verschmelzen mit ihr am See hatte die zwischen ihrem und meinem Geist bestehende Verbindung, die sie zuvor bereits in die Lage versetzt hatte, meine inneren Bilder wahrzunehmen, sich offenbar verstärkt, sodass Pema mittlerweile nicht bloß sah, wenn etwas sehr Mächtiges in mir vorging, sondern wie einst Padmasambhava und Düssum Tjenpa auch hörte, was ich dachte.
Diese Gedanken schienen ihr Beweis zu sein, dass ich in der Tat der ihr bekannte Berggeist war: Meine Überlegungen unterbrechend fragte sie:
»Ihr seid also wirklich Tchöötjong-laq?«
»Ja«, nickte ich.
Daraufhin kamen ihr unvermittelt die Tränen. Warum denn das nun wieder? Wegen der Geschehnisse am See oder weil ich soeben etwas falsch gemacht hatte?
Da entgegnete sie:
»Ihr habt überhaupt nichts verkehrt gemacht – nicht jetzt und auch am See nicht. Ich hingegen war dermaßen naiv … Ihr wart so nett zu mir gewesen und hattet Euch mit solcher Fürsorge um mich gekümmert. Ohne all die auf unseren gemeinsamen Streifzügen besorgten Dinge wäre ich in der Einsamkeit hier oben verloren. Ihr habt alles in Eurer Macht Stehende getan, mir zu ermöglichen, auf Eurem Berg in Klausur zu gehen. Und weil Ihr so nett wart … Ich habe mich durch Eure Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt … Ich … Also ich dachte, dass Ihr für einen Dämon gar nicht so schlecht ausseht und … Ihr müsst meine Jugend entschuldigen, da geschieht Derartiges schon einmal …«
Was? Wovon redete sie eigentlich?
»Na wovon schon? Ich habe mein Herz an Euch verloren!«, gestand sie errötend. »Und als Ihr am See meinen Körper angestarrt habt, habe ich gedacht … Ihr habt Recht, ich habe nicht wahrnehmen wollen, wer Ihr seid. Stattdessen habe ich Vivekananda sehen wollen. Womit ich den meine, den ich bis dahin gekannt hatte – nicht denjenigen, den ich erblickt habe, als Ihr mir die Augen über Euch geöffnet habt.«
Wer, wenn nicht ich, sollte verstehen, wie abstoßend der Anblick des das Blut seiner Feinde trinkenden menschlichen Dämons war, zu dem ich mich als Simha gemacht hatte …
»Ja, es war entsetzlich, geradezu widerlich!«, unterbrach Pema meine Rückschau und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Mir fehlen die Worte für das, was Ihr mir gezeigt habt. Ihr habt mir eine Kälte ins Herz gesenkt, dass ich dachte, ich müsse daran sterben. Eure bloße Anwesenheit schien mir schier unerträglich.«
Jedes dieser Worte glich einer mich bis ins Mark treffenden Nadelspitze. Ich fühlte mich dermaßen elend, dass ich mich, ohne abzuwarten, ob die Genesende möglicherweise noch etwas hinzufügen wollte, schweigend abwandte, um das Geschirr zur Quelle zu bringen und abzuwaschen. Dank dieses Vorwands würde sie meine für sie offenkundig bedrückende Gegenwart nicht länger ertragen müssen.
Pema aber hielt mich zurück:
»Tchöötjong-laq, bitte geht nicht. Ich bin mit meinen Ausführungen noch nicht zu Ende.«
Hatte ich nicht versprochen, für sie zu leben und achtsam zu sein? Folglich musste ich da jetzt wohl durch und mir anhören, was meine Schutzbefohlene zu sagen hatte. Ich hatte sie gequält. Daher geschah es mir nur recht, dass sie nun mich peinigte. Infolge dieses Gedankens drehte ich mich in Erwartung weiterer harscher Worte zu ihr um. Doch zu meiner Überraschung sagte Pema:
»Ich möchte mich bei Euch entschuldigen. Beinahe hätte ich vergessen, weshalb ich auf diesen Berg gekommen bin. Mitgefühl für alle Wesen ist ein Hauptbestandteil des Pfads. Tagtäglich rezitieren wir alle das Mantra Tchenressiqs. Gleichwohl habe ich Euch gegenüber Ekel, Verachtung, Horror, Ablehnung und wer weiß was sonst empfunden – alles Mögliche, bloß kein Mitgefühl. Über dem Bild des Bluttrinkers in Menschengestalt habe ich den von allen ›Tschatų-laq‹ genannten Schutzgeist aus dem Blick verloren.
Meine negativen Empfindungen haben mich blind gemacht für den langen Weg, den Ihr seit der Schlacht gegangen seid, in der Ihr als Simha gekämpft habt. Blind für all die Wohltaten, die Ihr meinen Vorgängerinnen seit Guru Rinpotches Zeiten erwiesen habt. Für die edle Gesinnung, die Ihr mir gegenüber stets gezeigt habt. Für den Schmerz Vivekanandas, der nach wie vor in Euch wohnt. Für den Kummer, den der Tchöötjong über Simha, den Bluttrinker empfindet …«
An dieser Stelle ließ ich die hölzerne Schüssel mitsamt dem Becher fallen und unterbrach dadurch Pemas Rede. Erst jetzt, da ich aus ihrem Mund von meiner Qual hörte, wurde mir bewusst, dass ich Schmerz und Trauer über mein Verhalten in der Vergangenheit noch immer nicht völlig losgelassen hatte. Möglicherweise verhielt sich das so, weil ich einen Zeugen dafür brauchte, dass ich mich seit damals grundlegend gewandelt hatte. Nur, wer den wahren Dämon kennengelernt hatte und trotzdem meinen Kummer nachzufühlen verstand, begriff, wer ich wirklich war. Pema, so glaubte ich nun, hatte mich erkannt. Sie vermochte mich zu sehen, wie ich war: Als einen Dämon mit einer menschlichen Seite. Und deswegen hasste sie mich nicht mehr.
Dieser Gedanke ließ bei mir alten Schmerz und neue Freude in eins zusammenfallen. Das empfand ich als derartig überwältigend, dass ich den Eindruck hatte, unter der Last meiner überstarken widerstreitenden Emotionen zusammenbrechen zu müssen. Daher war mir auch das Geschirr entglitten. Doch durfte ich Pema nicht zu viel zumuten. Immerhin war sie ein Mensch – noch dazu ein kranker und schwacher. Aus Rücksicht darauf riss ich mich am Riemen, so gut ich konnte, hob Becher wie Schüssel vom Boden auf und machte mich mit einer entschuldigenden Geste auf den Weg zur Quelle.
Mich allein wähnend ließ ich draußen angekommen meinen Tränen freien Lauf. In meiner aktuellen Verfassung war es mir gleichgültig, wie viele Bergbäche ich damit zum Über-laufen brachte. Da spürte ich auf einmal Pema neben mir stehen. Rasch versuchte ich, mich zusammenzunehmen, ergriff ihre Schüssel und spülte sie. Doch war es mir nicht gelungen, sie zu täuschen:
»Ihr könnt mich nicht dadurch schonen, dass Ihr vor mir weglauft. Habt Ihr vergessen, dass ich Eure Gedanken höre?«
Im Aufruhr der Gefühle hatte ich allerdings nicht daran gedacht. Arme Pema.
Die aber sagte:
»Ich muss Euch nicht leidtun. Weshalb macht Ihr Euch ausschließlich Gedanken um mich? Denkt doch auch einmal an Euch selbst!«
Ihr direkt in die Augen dachte ich ihr meine Antwort vor:
»Du bist noch krank, während ich unverändert ein Dämon bin. Allein meine Anwesenheit vermag dir zu schaden.«
»Tchöötjong-laq, ich glaube, Ihr seid Euch über Euch selbst nicht im Klaren. Bitte kommt mit hinein in die Höhle. Ich möchte Euch etwas zeigen.«
Mit diesen Worten schleppte Pema sich zurück in ihre Behausung. Sie mutete sich zu viel zu. Das bereitete mir Sorge. Doch hatte sie jetzt immerhin die richtige Richtung eingeschlagen. Daher folgte ich ihr. Anders als von mir erwartet ging sie jedoch nicht zurück in ihr Bett, sondern direkt zum Altar. Dort studierte sie das uralte Wandbild mit meinem Konterfei. Nachdem sie es gründlich betrachtet hatte, zeigte sie darauf und fragte:
»Das hier, das seid doch Ihr, oder?«
»Was für eine Frage! Wer sonst sollte das wohl sein?«, dachte ich.
»Habt Ihr eine Ahnung, wie alt dieses Bild ist?«
Das wusste ich nicht genau. Wahrscheinlich hatte es eine der ersten Nonnen, die hier gewohnt hatten, nicht allzu lange nach Padmasambhavas Abschied von mir angefertigt.
»Sagt, Tchöötjong-laq, wann habt Ihr zuletzt in den Spiegel geschaut?«, erkundigte Pema sich.
Bereits seit Ewigkeiten nicht. Nach dem Tod der greisen Yogini war ich dermaßen bemüht gewesen, allen Wesen um mich herum meine Liebe zu übermitteln, dass ich es bald wieder aufgegeben hatte, mein Spiegelbild zwecks Friedensschlusses mit mir selbst in Seen oder Pfützen zu betrachten. Zur Akzeptanz meines Dämonentums hatte ich dieser Selbstschau irgendwann nicht mehr bedurft. Mein Körper war ausschließlich für andere von Bedeutung. Er ermöglichte es ihnen, unmittelbar zu erkennen, wer und auch wo ich war, sodass sie sich im Zweifel von mir fernhalten konnten.
Pema schien sich durch meine Gedanken bestätigt zu fühlen:
»Das habe ich mir gedacht. Tchöötjong-laq, bitte erklärt mir eines: Wenn Ihr der Überzeugung seid, bis vor Kurzem so ausgesehen zu haben wie auf dem Bild hier, wie ist es mir Eurer Meinung nach dann möglich gewesen, Euch beim Aufwachen sogleich wiederzuerkennen?«
Aufgrund der von dieser Frage bei mir ausgelösten Verwirrung schaute ich meine Schutzbefohlene bloß forschend an, woraufhin diese fortfuhr:
»Ja glaubt Ihr etwa, ich hätte nicht bemerkt, dass die ehemalige Illusion aus Licht oder was das auch immer war, das da durch Wände und sogar durch mich hindurchzugehen vermocht hat, jetzt zu etwas geworden ist, das man anfassen kann?«
Das war aber auch das Einzige, das sich geändert hatte. Ansonsten handelte es sich bei mir weiterhin um denselben Berggeist wie zuvor. Immerhin hatte ich das ausprobiert.
»Ich weiß nicht, was Ihr da erprobt habt. Doch frage ich mich allmählich, ob Ihr etwa farbenblind seid!«, entgegnete Pema und wies erneut auf das Bild.
Wahrlich kein schöner Anblick. Wie hatte sie am See bloß denken können, dass ich für einen Dämon gar nicht so übel aussähe?
»Endlich seid Ihr auf der richtigen Spur! Die sollten wir weiterverfolgen. Also, der Tschatų hier auf dem Bild, der soll doch rot sein, oder?«, setzte Pema ihre Nachforschungen fort.
Aufgrund des enormen Alters des Wandbilds waren die Farben stark verblasst. Trotzdem fand ich die Frage befremdlich. Selbstverständlich war der Bluttrinker rot!
Über meine Antwort erfreut wirkend sagte Pema:
»Lasst uns das festhalten und meine Eingangsfrage unter diesem Aspekt erneut betrachten: Wie, glaubt Ihr, habe ich Euch nach Eurer Verwandlung ohne Probleme wiedererkannt? Euer neuer Körper ist doch nicht rot, sondern blau!«
Über die blaue Farbe hatte ich mich selbst bereits gewundert – sehr sogar. Doch hatte ich bisher keine Gelegenheit gehabt, darüber nachzudenken. Meine Gedanken waren so sehr um Pemas Gesundung gekreist, dass ich mich noch nicht eingehender mit meinem neuen Körper hatte beschäftigen können. Ich empfand es bereits als ein Wunder, ihn überhaupt erhalten zu haben. Wieso sollte da nicht auch ein Farbwechselwunder stattgefunden haben?
Pema verlor allmählich die Geduld mit mir:
»Ihr wollt es nicht wahrhaben, oder? Wenn das Wunder einer plötzlichen Farbänderung stattgefunden hätte, wie wäre mir dann wohl ein Wiedererkennen möglich gewesen?«
Was war denn das wieder für eine Frage? Es gab doch eindeutige Merkmale: Haare, Glubschaugen, Fangzähne, Hängebauch, Krallen! Mich daran zu erkennen, konnte doch nicht so schwer sein, bloß weil die Farbe jetzt eine andere war!
Auf diesen Einwand hin ergriff Pema meine Hand und hielt sie mir auffordernd vor das Gesicht:
»So, dann zeigt mir doch einmal Eure Krallen!«
Da waren keine. Bestürzt schaute ich an mir herunter: An den Füßen fehlten sie ebenso. Und der Hängebauch war verschwunden. Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
»Gibt es hier in der Nähe einen See, in dem Ihr Euch betrachten könnt?«, fragte Pema.
Da war keiner. Doch würde ich das schnell ändern. Einen Quellteich zu haben, wäre ohnehin recht praktisch. Daher eilte ich hinaus zur Quelle und veranlasste den Untergrund, sich zu senken. Sobald das große Loch sich endlich mit Wasser gefüllt hatte, schaute ich hinein – und erschrak:
Aus dem Teich blickte mir ein außerordentlich großer, bis auf seine himmelblaue Farbe indisch aussehender Mann entgegen. Sein Körper war zwar mit ähnlich breiten Schultern wie meine vorherige Gestalt ausgestattet, trotz der gut ausgebildeten Muskeln dabei im Ganzen jedoch viel schlanker gebaut. Im Gegensatz zu meiner früheren Erscheinung waren meine Haare jetzt außerordentlich lang. Sie standen nicht mehr in allen Richtungen vom Kopf ab, sondern fielen in sanften Wellen über meinen Rücken. Dabei hatte diese Gestalt weder Krallen oder Fangzähne noch einen Hängebauch. Bis auf ein Fell über der Männlichkeit war mein Spiegelbild vollständig nackt. Die Halskette aus Schädeln war verschwunden. Die mir von Düssum Tjenpa geschenkten Ohrringe zierten mich dagegen auch weiterhin.
Im Gegensatz zu früher standen meine nunmehr weitaus weniger runden und daher trotz ihrer sonderbar intensiv-blauen Farbe natürlicher aussehenden Augen nicht hervor und waren auch nicht mehr von dem bisherigen unveränderlichen Ausdruck von Wut geprägt. Stattdessen lag in ihnen ein Schein von Schwermut. Das dritte Auge auf der Stirn verwirrte mich am meisten: Ein halb geschlossenes Lid ließ einen glänzenden, durchdringenden Blick erahnen. Das sollte ich sein? Ich hätte mich nicht wiedererkannt. Wie hatte Pema da … Was wollte sie mir eigentlich sagen?
Ungeachtet ihrer Schwäche hatte meine Patientin sich erneut bis vor die Höhle geschleppt. Das ließ mich den letzten Rest meiner Geduld verlieren: Ohne weitere Erklärungen nahm ich Pema auf den Arm und trug sie zurück zu ihrem Lager. Dort angekommen stopfte ich sie unter die wärmenden Felle. Anschließend gab ich ihr zu verstehen, dass wir uns auch unterhalten könnten, wenn sie sich die dringend benötigte Schonung gönnte. Obwohl sie mir in dieser Hinsicht Recht gab, ließ sie in der von uns diskutierten Angelegenheit nicht locker:
»Wisst Ihr, der Tschatų vom Bild … Bevor Ihr mir Simha in der Schlacht gezeigt habt, hatte ich den nur ein einziges Mal gesehen. Das war gleich bei meiner Ankunft, bei der Vertreibung meiner Verfolger. Der Dämon, den ich kurz danach hier kennenlernte, war schon fast vollkommen blau. Manchmal lief allerdings etwas wie rote Streifen über Euren Körper. Außerdem hattet Ihr noch kurze Fangzähne und Krallen – und auch einen kleinen Rest von diesem Hängebauch. Während der Tage, die Ihr mit mir in den Bergen unterwegs wart, ist das alles geschrumpft. Bei unserem ersten Zusammentreffen zu zweit wart Ihr bereits deutlich schlanker als auf dem Wandbild. Doch seid Ihr während unserer Wanderungen noch ein bisschen schmaler geworden und auch ein wenig größer.
Wie soll ich es bloß sagen, ohne Euch zu nahe zu treten? Je mehr Liebe Ihr ausgestrahlt habt, desto attraktiver seid Ihr geworden und auch umso blauer – bis das Rot des Zorns endgültig verschwunden war. Ohne diese Entwicklung hätte ich sicherlich nicht mein Herz an Euch verloren.«
Sie glaubte, sich in mich verliebt zu haben. Zwar hatte sie das in unserem Gespräch heute schon einmal mit denselben Worten ausgedrückt. Doch war ich da noch der Meinung gewesen, sie habe Gefühle für den roten Dämon entwickelt. Erst durch ihre jetzigen Ausführungen und die neuen Erkenntnisse über meinen Körper wurde mir klar, dass sie den Dämon leider überhaupt nicht mochte. Meine Freude von vorhin war verfrüht gewesen. Pema fand ausschließlich den blauen Mann attraktiv – und zwar umso mehr, je menschlich-männlicher der aussah.
Kein Wunder, dass sie sich so sehr über den bluttrinkenden Simha entsetzt hatte – sogar in weit größerem Ausmaß, als ich das bisher realisiert hatte. In Anbetracht meines jüngsten Erkenntnisgewinns wäre es nun an der Zeit gewesen, das Geständnis ihrer Liebe nicht weiter unbeantwortet zu lassen. Doch fand ich mit der Sachlage konfrontiert, was Pema wirklich an mir liebte, nicht schnell genug die richtigen Worte. Das bewegte sie dazu, sich mir weiter zu erklären:
»Tchöötjong-laq, habt Ihr nicht selbst gesagt, dass ich Euren Schmerz kenne? Dass ich die Zeugin Eures Wandels bin – die Einzige, die Euch wirklich versteht?
Ja, ich gebe zu, es hat mir furchtbar wehgetan zu sehen, wozu Vivekananda sich hatte hinreißen lassen. Und ich empfinde es als ebenso schmerzlich, hier über dem Altar die ständige Mahnung vor Augen zu haben, was aus Euch geworden war. Aber glaubt Ihr denn, dass ich Euch Eure Vergangenheit vorwerfe? Dazu wäre ich allenfalls berechtig, wäret Ihr noch immer derselbe wie damals – nicht um Euer Richter zu sein, sondern Euer Lehrer. Doch ist das gar nicht nötig! Ihr wolltet nicht mein Lama sein und seid es trotzdem geworden. Ich bewundere Euch für Euren geduldigen Glauben an die Lehre, für Eure Bescheidenheit …«
Das war jetzt wirklich genug! Einerseits hielt Pema meine dämonische Seite für dermaßen verkommen, sich selbst dagegen für derart tadellos, dass sie sich anmaßte, mein Richter oder Lehrer sein zu können. Anderseits schmeichelte sie meiner menschlichen Seite auf das Schamloseste. Das kam bei mir nicht gut an. Was sie mir da offenbarte, war keine Liebe, sondern jugendliche Schwärmerei! Wahre Liebe wäre in der Lage, für den grausamen Bluttrinker dasselbe Mitgefühl aufzubringen wie für den halbwegs gut aussehenden blauen Mann, als der ich seit Neuestem erschien.
»Ihr seid unglaublich hart!«, beklagte meine Schutzbefohlene sich über meine Reaktion. Damit die Angelegenheit nicht in eine unfruchtbare Diskussion über vermeintliche persönliche Fehler ausartete, entgegnete ich abschließend:
»Und du solltest lieber schweigen. Du krächzt wie ein Rabe. Wenn du so weitermachst wie bisher, wirst du bald überhaupt keine Stimme mehr haben. Schlimmstenfalls hast du für dieses Leben jegliche Hoffnung auf Erholung und damit die Möglichkeit zu Fortschritten auf dem Pfad aufzugeben!«
Mit diesen gedachten Worten verließ ich die Höhle. Gut, dass sich Schüssel und Becher nach wie vor draußen befanden, da hatte ich wenigstens etwas, um für meine Patientin Arzneipflanzen zu sammeln.